Atlanta 1996: Die "Coca-Cola-Spiele"
Hundert Jahre nach der Olympia-Premiere der Neuzeit hätte Athen als Austragungsort konsensfähig sein können. Doch im IOC setzen sich kommerzielle Interessen durch. Die von bösen Zungen so genannten "Coca-Cola-Spiele" werden als gigantische Show inszeniert und dauern angesichts lukrativer Fernseh-Übertragungen einen Tag länger als gewohnt. Denkwürdig zumindest der Auftakt: Von seiner Parkinson-Erkrankung schwer gezeichnet, entzündet Box-Legende Muhammad Ali das Olympische Feuer. Acht Tage, am 27. Juli, später reißt ein Bomben-Attentat Athleten und Fans aus olympischen Träumen. Im Vergnügungspark "Centennial Olympic Park" im Zentrum von Atlanta geht am frühen Morgen ein Sprengsatz hoch: Zwei Menschen sterben, 111 werden verletzt. Eine Absage kommt aber nicht in Frage. Motto: "The show must go on" - Rekorde, Sieger, Emotionen, und hemdsärmeliger "american way of life" inklusive, zu dem Kommunikations-Chaos, Transportprobleme und ungeschultes Hilfspersonal gehören. ACOG, die Abkürzung für "Atlanta Committee for the Olympic Games" steht am Ende in der Hauptstadt Georgias als sarkastisches Kürzel für "Atlanta Can't Organize Games".
Johnson - der Mann mit dem goldenen Schuh
Auf ihn blicken Fans und Gegner mit Respekt: Viertelmeiler Michael Johnson. Bei der WM 1995 in Göteborg hat der Texaner mit dem unorthodox aufrechten Laufstil bereits die 200 und die 400 Meter für sich entschieden. Und so kommt es auch in Atlanta - inklusive eines fantastischen Weltrekords über die halbe Stadionrunde (19,32 Sekunden). Derselbe Doppel-Erfolg über 200 und 400 Meter gelingt auch der Französin Marie-José Pérec. Sie ist zudem die erste Frau, die die 400 Meter bei zwei aufeinander folgenden Spielen gewinnt - in Atlanta zudem mit olympischem Rekord von 48,25 Sekunden. Als Seriensieger trägt sich Carl Lewis in die Annalen ein: Er gewinnt zum vierten Mal in Folge den Weitsprung. Zehnkämpfer Dan O'Brien kann vor heimischer Kulisse endlich die großen Erwartungen erfüllen und holt Gold. Ein bis dato nur Insidern bekannter Schlacks aus Recklinghausen erobert frank und frei Silber - und die Herzen der deutschen Leichtathletik-Fans: Frank Busemann. Lars Riedel, Ilke Wyludda (beide Diskus) und Astrid Kumbernuss (Kugel) glänzen mit Gold.
Michael Johnsons historischer Sieg
Gold über die Viertelmeile hat er schon. Doch Weltmeister Michael Johnson will auch auf der halben Stadionrunde gewinnen. Das schafft er auch, mit einem fantastischen Weltrekord. "Ich wollte in die Geschichte eingehen. Und beim Ausgang der Kurve wusste ich, dass ich noch nie so schnell gelaufen war." So schildert US-Langsprinter Michael Johnson nach seinem Sieg über 200 Meter den Verlauf eines wahrhaft historischen Rennens. 19,32 Sekunden, ein sensationeller Weltrekord, 34 Hundertstel schneller als seine eigene Bestmarke zuvor, eine neue Dimension. "Whoooooosh", titelt die Tageszeitung "Atlanta Journal-Constitution" ebenso knapp wie treffend. Und: Nie zuvor hat ein (männlicher) Athlet bei Olympischen Spielen sowohl die 400 als auch die 200 Meter für sich entschieden. Mit zweimal Gold ist Johnson der Top-Athlet der Spiele von Atlanta; der Französin Marie-José Pérec gelingt derselbe Coup.
Konkurrenz fassungslos
"Noch nie in meinem Leben habe ich vor einem Rennen so einen großen Druck gespürt", gibt der diplomierte Marketing-Fachmann nach dem Weltrekord Einblick in sein Innenleben. "Aber ich habe immer gesagt, dass ich den Druck brauche, um Höchstleistungen zu bringen. Ich liebe es, Angst in den Startblöcken zu haben. Und ich hatte wirklich Angst." Nötig ist die Angst nicht. Schon der Zweitplatzierte, der Namibier Frankie Fredericks, kommt mit einem Rückstand von 36 Hundertstel ins Ziel. "Mir fehlen die Worte", meint der Silbermedaillengewinner fassungslos. Der sonst so "coole" Johnson gibt indes alle Zurückhaltung auf, fällt auf die Knie, küsst die Bahn, bricht in Jubel aus und schließt bei der Ehrenrunde seine Eltern in die Arme.
Manager seines Nachfolgers
Schon vier Tage zuvor ist sein 400-Meter-Sieg in 43,49 Sekunden eine Demonstration der Stärke: Der zweitplatzierte Brite Roger Black hat im Ziel fast eine Sekunde Rückstand. Und schon da zeigt Johnson Gefühle. Sonst auch nach Siegen eher nüchtern, schleudert der Mann mit dem unnachahmlich aufrechten Laufstil seine goldenen Rennschuhe ins Publikum. Die Spiele in Atlanta machen den Texaner zum Superstar der Leichtathletik. Immer wiederkehrende Dopinggerüchte weist er energisch zurück: "Wenn man deutlich schneller ist als andere, versuchen sie immer, einem etwas anzuhängen", ist sein Motto. Trotz aller Erfolgserlebnisse hat der Sport für Johnson "wenig mit Spaß zu tun. Es ist ein Geschäft und eine harte Herausforderung, die ganz einfach darin besteht, immer schneller zu laufen als die anderen. Wenn das klappt, dann laufen die Geschäfte außerhalb des Sports. Und das ist mir wichtig. Schließlich will ich nicht mein Leben lang rennen, um meine Rechnungen zu bezahlen."
Das ist auch nicht nötig. Mit fünfmal Olympia-Gold, neun WM-Titeln und den Weltrekorden über 200 und 400 Meter geht Johnson im Alter von 34 Jahren nach der WM-Saison 2001 in den vorläufigen "Ruhestand". Doch der Leichtathletik bleibt er treu: als Manager seines olympischen Nachfolgers Jeremy Wariner, der über sein Vorbild sagt: "Alles was er erreicht hat, will ich auch schaffen und noch einen draufsetzen."
Doppel-Gold für deutsche Reiter
Zum König bei den Schwimmern krönt sich der Russe Alexander Popow. Er wiederholt sein Doppel-Gold von Barcelona über 50 und 100 m Freistil und gewinnt noch zwei Silbermedaillen. Aufsehen erregt der türkische Gewichtheber Naim Suleymanoglu. Der nur 1,50 Meter große 29-Jährige holt als erster Athlet seiner Zunft das dritte Olympia-Gold - mit Weltrekord von 335 Kilogramm im Zweikampf. Zwei Tage vor seinem Medaillengewinn betrinkt sich der neue "Nationalheld" und wird gegen einen chinesischen Funktionär im Athletendorf handgreiflich: Der Mann hatte ihn aufgefordert, nicht auf die Straße zu urinieren.
Mit sehr viel mehr Anstand imponieren die deutschen Reiter, die gleich zwei Doppelgold-Gewinner stellen: Springreiter Ulrich Kirchhoff und Dressurreiterin Isabell Werth gelingt je ein Sieg im Einzel und mit der Mannschaft. Am Ziel seiner Träume ist auch Andreas Wecker. Ein Jahr nach dem Gewinn des WM-Titels holt sich der Berliner am Reck auch Olympia-Gold - das erste für einen deutschen Kunstturner seit 1988.(sportschau)
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