Stockholm 1912: Coubertins "Ode an den Sport"
Die schwedischen Gastgeber sorgen dank mustergültiger Organisation und Sportstätten von höchster Qualität für einen reibungslosen Ablauf der V. Olympischen Spiele 1912. Erstmals sind Athleten aus allen Kontinenten vertreten. Blumen, Fahnen und Girlanden dominieren das Bild der Metropole. Lotterien mit einem Reingewinn von umgerechnet drei Millionen Mark sichern die Finanzierung der Veranstaltung.
"Ritterburg" im Zoo
Schwedens König Gustav V. stellt zehn Hektar seines Tiergartens für den Bau des Olympiastadions zur Verfügung, das mit seinen wuchtigen Ecktürmen etwas von einer Ritterburg hat. 50.000 Zuschauer finden in der in mittelalterlichem Stil errichteten Arena Platz. Elektrische Zeitnahme sowie die Zielfotografie bei der Leichtathletik gelten als die technischen Errungenschaften. Vor allem aber: Das Publikum ist mit Begeisterung dabei; Menschen aus aller Welt gehen offen und herzlich aufeinander zu. Olympisches Edelmetall gibt es erstmals auch in den nach antikem Vorbild aufgenommenen Kunstwettbewerben in Architektur, Literatur, Musik, Malerei und Bildhauerei. Einer der Sieger ist IOC-Präsident Pierre de Coubertin.
Deutsche Brustschwimmer glänzen
Die Frauen erobern mehr und mehr Terrain: Nach ihrem Einstand im Tennis (1900) erhalten sie ab 1912 auch die Startberechtigung zu den Schwimmwettbewerben - aber nur über 100 Meter und 4x100 Meter Freistil, "damit sie sich nicht zu sehr erschöpfen". Großbritannien holt das erste Olympia-Gold im Staffel-Wettbewerb - vor Deutschland. Die deutschen Männer triumphieren im Brustschwimmen und belegen über 200 Meter gleich alle drei Plätze auf dem Podium; Sieger Walter Bathe schwimmt sogar Weltrekord. Auch über 400 m Brust kommt an Bathe niemand vorbei.
Dreimal Gold für "Wunderläufer" Kolehmainen
Die Langstreckenläufe sehen die Geburt des "Wunderläufers" Johann Petteri ("Hannes") Kolehmainen. Der Finne - der unter russischer Flagge startet, da das Land damals zum Zarenreich gehört - absolviert innerhalb von acht Tagen einschließlich der Vorläufe sechs Rennen, in denen er viermal Edelmetall gewinnt - davon dreimal Gold - und zwei Weltrekorde aufstellt (über 5000 Meter und im 3000-Meter-Mannschafts-Geländelauf).
Der eigentliche Star der Spiele ist aber Leichtathlet Jim Thorpe, der seine Konkurrenten im Fünf- und Zehnkampf zu Statisten degradiert. Kurios: Für seinen Halbfinal-Sieg über den Finnen Alfred Asikainen im Mittelgewicht griechisch-römisch benötigt der russische Ringer Martin Klein mehr als zehn Stunden. Vor lauter Erschöpfung kann er zum Finale nicht mehr antreten. Olympiasieger wird so - kampflos - der Schwede Claes Johansson.
Jim Thorpe: Der Blitz schlägt ein
Die Schweden bejubeln einen US-Athleten, obwohl er ihre Mehrkämpfer deutlich distanziert. In seiner Heimat hat Jim Thorpe jedoch einen schweren Stand. Den US-Funktionären ist er ein Dorn im Auge. Denn James Francis Thorpe ist Indianer - vom Stamme der Sac und Fox. 1904 wäre er wahrscheinlich noch im Rahmenprogramm der "anthropologischen Tage" gelandet. Bei den noch stark von Weißen geprägten Spielen erregt der 24-Jährige allein durch sein Aussehen Aufmerksamkeit, sehr zum Unwillen nationalistischer US-Kreise. Thorpe ist der unbestrittene Star der Leichtathletik-Wettkämpfe und schafft fast Unmögliches: Er gewinnt sowohl den Fünfkampf als auch den erstmals bei Olympia ausgetragenen Zehnkampf und belegt ganz "nebenbei" auch noch die Ränge vier im Hochsprung und sieben im Weitsprung.
Weltrekord um mehr als 1000 Punkte verbessert
In den Mehrkämpfen wird der Amerikaner seinem Ruf als "Naturgewalt" mehr als gerecht. Den schwedischen Weltrekordler und Olympia-Favoriten Hugo Wieslander deklassiert Thorpe nach allen Regeln der Kunst. Einzig den Speerwurf kann Wieslander für sich entscheiden. In den übrigen neun Disziplinen muss er sich dem Amerikaner geschlagen geben. Wieslanders Zehnkampf-Weltrekord von 7244 Punkten hat Thorpe am Ende mit 8412 Zählern pulverisiert. "Mein Herr, Sie sind der größte Athlet der Welt", gratuliert Schwedens König Gustav V. dem Indianer, dessen stammessprachlicher Name "Wa Tho Huk" übersetzt sehr treffend lautet: "Der Weg ist aufgeklart, nachdem der Blitz eingeschlagen hat".
Späte Rehabilitation
Seine Erfolge werden dem bei seiner Rückkehr als Nationalheld Gefeierten in der Heimat aber geneidet. Nach wie vor gibt es viele, die in dem Indianer einen denkbar schlechten Vertreter eines US-Idols sehen. Schließlich decken Intriganten auf, dass Thorpe bereits 1909 in einer unterklassigen Baseball-Mannschaft gespielt und dafür pro Woche 25 Dollar erhalten hat. Sportfunktionär James Sullivan von der Amerikanischen Leichtathletik-Union bewirkt, dass Thorpe sein Amateurstatus entzogen und ihm sämtliche olympischen Erfolge, Rekorde und Medaillen aberkannt werden. Thorpe sattelt um und unterschreibt einen Vertrag als Football-Profi bei den New York Giants. 1953 stirbt er an Krebs. Erst 30 Jahre nach seinem Tod wird der größte Athlet der damaligen Zeit rehabilitiert und nachträglich wieder zum Olympiasieger erklärt. (sportschau)
Keine Kommentare:
Kommentar veröffentlichen