Amsterdam 1928: Versöhnung statt Rivalität
Versöhnung ist das Stichwort der Spiele von Amsterdam, vor allem aus Sicht der Deutschen. Sie werden - nach zweimaligem Ausschluss in Folge des Ersten Weltkriegs - schon kurznach den Spielen von Paris 1924 nach Amsterdam eingeladen. Nach ihren "Kampfspielen" 1922 und 1926, einer Art Olympia-Ersatz, zeigen sich die Deutschen - mit zehn Goldmedaillen, sieben Mal Silber und 14 Mal Bronze und damit Platz zwei im Medaillenspiegel - außerordentlich konkurrenzfähig. So sehr, dass das amerikanische Außenministerium prüfen lässt, ob das "sportliche Aufrüsten" nicht abermals auf Kriegsvorbereitungen vonseiten Deutschlands schließen lässt. Die Prüfung bleibt offenbar ohne nachhaltiges Resultat. Als "Gold-Schmiede" erweisen sich vor allem die deutschen Dressurreiter um Carl Freiherr von Langen-Parow, der Einzel- und Teamsieger wird. "Draufgänger" heißt sein Pferd.
Mit Weltrekord zum 800-m-Gold
Endlich ist die Leichtathletik auch für Frauen offen. Das erste Gold für Deutschland in der olympischen "Kernsportart" holt über 800 Meter Lina Radke-Batschauer nach äußerst spannendem Rennverlauf - mit Weltrekord von 2:16,8 Minuten. Einige Teilnehmerinnen brechen allerdings zusammen. Das führt zu einer erneuten Diskussion über die Belastungsfähigkeit des vermeintlich "schwachen" Geschlechts. Die Folge: In den kommenden 32 Jahren (bis Rom 1960) werden für Frauen keine Wettkämpfe jenseits der 200 Meter mehr ausgetragen. Für die kanadische Hochsprung-Olympiasiegerin Ethel Catherwood, die mit 1,59 Meter gewinnt, hält sich die Belastung dagegen sichtbar in Grenzen: Während die Konkurrenz Dehn- und Streckübungen macht, zieht Catherwood ihren Lippenstift nach.
Bei den Männern dominieren erneut die Finnen die Mittelstrecken. Paavo Nurmi ist zwar nicht mehr so erfolgreich wie 1924, rennt aber noch zu einmal Gold (10.000 Meter) und zweimal Silber (5.000 Meter, 3.000 Meter Hindernis). Im Säbelfechten beginnen die Ungarn ihre unvergleichliche Erfolgsserie: Einzel- und Mannschaftsgold geht fortan an die Magyaren - bis 1964 in Tokio.
Warten und Wundern
Schnellster Mann der Welt wird Percy Williams. Er ist der dritte Olympionike, der sowohl über 100 als auch 200 Meter die Nase vorn hat. Als der Kanadier in sein Hotel zurück will, versperrt eine Menschentraube die Tür. "Wir warten auf den Olympiasieger Williams", sagt einer aus der Menge. Der so Begehrte gesellt sich hinzu und plaudert mit den Wartenden. "Ich hatte viel Spaß, während ich auf mich wartete", ulkt Williams später. Kurios auch der Marathon: Der Kolonialfranzose Mohamed El Quafi, Siebter von 1924, gibt ab Kilometer 25 Gas und lässt die vor ihm Laufenden stehen. Überholt wird er selbst nicht, zu seiner eigenen Verwunderung. Dass er in Führung liegt, sagt ihm niemand. Noch im Ziel wundert er sich, der erste französische Marathonsieger der Olympiageschichte.
El Quafi: Ahnungslos zum Marathonsieg
Er läuft und läuft und läuft. Der Kolonialfranzose Mohamed El Quafi kommt erst in der zweiten Hälfte des Marathons richtig in Schwung. Er überholt einige. Bis am Ende niemand mehr vor ihm ist. Denn der kuriose Marathon von Amsterdam endet mit dem Außenseitersieg des gebürtigen Algeriers. El Ouafi ist ein umsichtiger Läufer, große Chancen rechnet er sich nicht aus: 1924 in Paris hatte er sich noch einen erbitterten Kampf um Platz sechs geliefert - und verloren. Nach einem Drittel der Strecke liegt der 29-Jährige mehr als zwei Minuten hinter einer Spitzengruppe aus elf Läufern zurück. Unter den Führenden auch der Japaner Kanematsu Yamada, der leichtfüßig seine Konkurrenten deklassieren will.
Verschleißerscheinungen bei den Favoriten
Indem Yamada bei Kilometer 30 die Spitzengruppe sprengt, mischt er das ganze Rennen auf: Alle direkten Konkurrenten verschleißen sich beim Versuch, den Japaner einzuholen - und werden von El Ouafi nach und nach "kassiert". Der Franzose, der erst nach der Wende langsam beschleunigt hat, läuft schließlich auch am führenden Yamada vorbei. Der ist völlig "platt". El Quafi weiß aber nichts - weder von Führungswechseln, noch von Ausreißversuchen. Und registriert auch nicht, dass er schon vorne liegt. Er läuft einfach weiter. Und wundert sich, dass er niemanden mehr überholt - bis ins Ziel.
Ohne Fortune in Paris
Mit seinem Gold geht El Quafi nach Amerika, wo er mit einer Zirkustruppe im New Yorker Madison Square Garden auftritt. Er verdient Geld, verliert aber seinen Amateurstatus. Zurück in Paris, eröffnet er dort ein Café - mit nur mäßigem Erfolg. 28 Jahre später, nach dem Gold-Gewinn seines Landsmanns Alain Mimoun in Melbourne, findet man El Quafi verarmt und arbeitslos. Eine Sammlung, zu der die französische Sportzeitung "L'Équipe" aufruft, erbringt 50.000 Francs. Am 18. Oktober 1959 stirbt Frankreichs erster Marathon-Olympiasieger, erschossen in einem Familienstreit. (sportschau)
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