Olympia-Rückblick: 1948 bis 1964
London 1948: Nachkriegsspiele ohne Deutschland
Drei Jahre nach Kriegsende kommen 4.062 Sportler aus 59 Nationen nach London. "Die Welt sehnt sich nach der schönen Zeit des Friedens zurück", beschreibt IOC-Präsident Sigfrid Edström die Motivation für den Wiederbeginn. Nicht eingeladen werden das besetzte Deutschland sowie Japan. Die Sowjetunion verzichtet freiwillig auf eine Teilnahme. Lebensmittel sind allerorten noch knapp. Zwar überzeugt das Organisationskomitee den Ernährungsminister, die Sportler als Schwerstarbeiter einzustufen und entsprechende Rationen bereitzustellen. Dennoch wird den teilnehmenden Nationen empfohlen, eigene Verpflegung mitzubringen und Lebensmittel zu spenden. Dänemark schickt 30 Eier. Auch an anderer Stelle macht sich der Krieg noch bemerkbar: Die Sportler sind in Kasernen und Schulen untergebracht. Das ehrwürdige Wembley-Stadion ist zwar renoviert, aber häufiger Regen verwandelt die Laufbahn in einen matschigen "Kartoffelacker". Die erstmals auf den Strecken 100 bis 400 Meter verwendeten Startblöcke sind so nur bedingt ein Fortschritt.
"Fanny" fliegt zu Gold
Blankers-Koen - Die "fliegende Hausfrau"
Hausfrau, Mutter - und Weltrekordlerin: So kommt Fanny Blankers-Koen zu den Spielen nach London. Und gewinnt viermal Gold in der Leichtathletik. Mehr lässt das Reglement für Frauen nicht zu. Die Niederländerin muss sich für höchstens vier Disziplinen entscheiden - und wählt die Sprintstrecken: 100 Meter, 200 Meter, 80 Meter Hürden und die 4x100 Meter-Staffel. Auf ihre Weltrekord-Disziplinen Weitsprung und Hochsprung verzichtet sie notgedrungen. Elf Starts innerhalb von acht Tagen, nicht eine Niederlage: erfolgreicher als die "fliegende Hausfrau" 1948 mit vier Goldmedaillen ist seither keine Leichtathletin bei Olympischen Spielen mehr gewesen.
Babysitting beim Training
Interesse am Sport findet Fanny Blankers-Koen schon mit 14; ihr Sportlehrer schickt sie zur Leichtathletik. 1935 stellt sie ihren ersten niederländischen Rekord auf - über 800 Meter. Bei dieser Veranstaltung entdeckt sie der frühere Dreispringer und Sportjournalist Jan Blankers. Unter seiner Obhut entwickelt sich das Multi-Talent so schnell wie es läuft: Bei den Spielen in Berlin rennt sie 18-jährig mit der 4x100-m-Staffel auf Rang fünf, im Hochsprung wird sie Sechste. Mitten in den Kriegswirren heiratet Francina Elsje Koen ihren Trainer; zwei Kinder gehen aus der Ehe hervor. Einen Babysitter hat Fanny nicht - also kommen die Kinder immer mit ins Stadion, wo dreimal die Woche trainiert wird. Mit Erfolg: Bei den Europameisterschaften 1946 in Oslo holt Fanny zweimal Gold - über 80 Meter Hürden und mit der niederländischen Sprint-Staffel.
Rekord-Vorsprung für die Ewigkeit
Eigentlich ist sie 1948 mit 30 schon zu alt. Tatsächlich ist sie aber in London in der Form ihres Lebens. Sie gewinnt nicht einfach; sie distanziert ihre Konkurrenz. Über 200 Meter legt sie sieben Zehntelsekunden zwischen sich und die Zweitplatzierte, die Britin Audrey Williamson. Es wird der größte Vorsprung in der olympischen Geschichte über 200 Meter der Frauen bleiben. Selbst die ebenso legendäre wie umstrittene Florence Griffith-Joyner (USA)hat bei ihrem Fabel-Weltrekord 1988 in Seoul "nur" 38/100 sec. Abstand zur Zweitplatzierten. Dabei wollte Fanny wegen Erschöpfung zum Finale gar nicht mehr antreten. Auch die Staffel hat es in sich: Mit über fünf Metern Rückstand wird Blankers-Koen auf die letzten hundert Meter geschickt. Dann beginnt ihr unglaublicher Lauf. Erst überrennt sie die Dänin Nissen, dann die Britin Gardner und die Kanadierin Jones, und wenige Meter vor dem Ziel holt sie auch die Australierin King noch ein. "The Flying Dutchman", wie die internationale Presse sie nennt, ist der Star der Spiele.
Leichtathletin des Jahrhunderts
1953 beendet Fanny Blankers-Koen als eine der erfolgreichsten Leichtathletinnen aller Zeiten nach 20 Jahren ihre Karriere, während der sie nicht weniger als 12 Weltrekorde in neun verschiedenen Disziplinen auf- und neun weitere einstellt. 1999 wählt der Leichtathletik-Weltverband IAAF die Niederländerin zur "Leichtathletin des Jahrhunderts". Das FKB-Stadion in Hengelo, Schauplatz des alljährlichen Leichtathletik-Grand-Prix, trägt - ebenso wie das Meeting selbst - zu ihrem Gedenken den Namen der so bodenständigen "fliegenden Hausfrau", die sich selbst nie als Vorreiterin für den Frauensport gesehen hat. "FKB", in ihren letzten Lebensjahren von Alzheimer heimgesucht, stirbt am 25. Januar 2004 im Alter von 85 Jahren.
Phoenix auf der Asche ist die Holländerin Francina Elsje "Fanny" Blankers-Koen. Die "fliegende Hausfrau" startet viermal - über 100 Meter (11,9 Sekunden), 200 Meter (24,4 Sekunden), 4x100 Meter (47,5 Sekunden) und 80 Meter Hürden (11,2 Sekunden) - und gewinnt viermal in beeindruckender Manier. Im Staffelrennen macht die 30 Jahre alte zweifache Mutter aus einem Rückstand von fünf Metern noch Gold. Zu ihrem überlegenen Triumph über 200 Meter muss sich die "Flying Dutchmam" erst von ihrem Mann und Trainer Jan Blankers überreden lassen: Eigentlich fühlt sie sich nach zwei Siegen schon zu schwach. Für Furore sorgen zwei weitere Vertreter des vermeintlich "schwachen" Geschlechts: die französische Konzertpianistin Micheline Ostermeyer - mit Siegen im Kugelstoßen und Diskuswerfen und die Österreicherin Herma Bauma, die im Speerwerfen für ihr Land das erste Leichtathletik-Gold der olympischen Geschichte gewinnt. Der Tscheche Emil Zatopek startet in London seinen olympischen Triumphzug mit Gold über 10.000 Meter und Silber über 5.000 Meter. Erst 17-jährig wird US-Boy Bob Mathias jüngster Zehnkampf-Olympiasieger aller Zeiten.
Drama im Empire Pool
Mit einer schier unglaublichen Reaktion rettet Staffelschwimmer Elemér Szathmári die Dänin Greta Andersen vor dem Ertrinken. Der Ungar sitzt am Beckenrand und schaut dem dritten Vorlauf der Damen über 400 Meter zu. Plötzlich sieht er die 100-Meter-Olympiasiegerin nach 150 Metern ohne einen Laut im Wasser versinken. Mit einem Hechtsprung taucht Szathmári ins Becken und holt die ohnmächtige Dänin vom Grund des Empire Pools herauf. Auch sportlich machen die Ungarn auf sich aufmerksam: Im Hammerwerfen gewinnt Imre Nemeth, im Weitsprung der Frauen triumphiert Olga Gyarmati. Auf der Planche erkämpft sich die ungarische Florettfechterin Ilona Elek zwölf Jahre nach Berlin erneut die Goldmedaille. Und noch ein anderer Sieger von Berlin kann seinen Titel erfolgreich verteidigen - der Tscheche Jan Brzak im Canadier-Zweier über 1.000 Meter. Dominierende Nation sind - nach dem "Ausrutscher" in Berlin - wieder die USA mit 38 Gold-, 27 Silber- und 19 Bronzemedaillen. (sportschau)
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