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Mittwoch, 12. September 2012

Olympia-Rückblick: 1948 bis 1964 - Melbourne 1956: Sommerspiele im Winter


Melbourne 1956: Sommerspiele im Winter

Ungarn Boxstar Laszlo Papp (Olympiasieger 1948, 1952 und 1956). © picture-alliance / dpa
"Gold-Hattrick" bei Olympia: der ungarische Boxstar Laszlo Papp.
Politische Probleme werfen ihre Schatten auf das erste olympische Turnier der südlichen Hemisphäre: Ägypten, Libanon und der Irak boykottieren die Spiele wegen der Suez-Krise; Holland, Spanien und die Schweiz bleiben aus Protest gegen den Einmarsch der UdSSR in Ungarn fern. Obwohl die DDR vom IOC "vorläufig anerkannt" ist, müssen sich die beiden deutschen Delegationen auf eine gemeinsame Mannschaft einigen. 37 von 276 Teilnehmern kommen aus Ost-Deutschland. Das Team läuft unter einer schwarz-rot-goldenen Flagge mit den fünf olympischen Ringen auf. Als Hymne dient Beethovens "Ode an die Freude". Die Anreise ist beschwerlich. Mehrere Zwischenstopps muss das Team auf seinem Flug einlegen, die reine Flugzeit beträgt mehr als 40 Stunden. "Es war eine Schinderei" erinnert sich Radsport-Legende "Täve" Schur.

Boxer Papp gelingt der Hattrick

Erster Olympiasieger aus der DDR wird der erste 20 Jahre alte Boxer Wolfgang Behrendt im Bantamgewicht mit einem Punktsieg über den Südkoreaner Soon Chu Song. Der Star des Boxens ist jedoch ein anderer: Laszlo Papp schafft als 31-Jähriger seinen dritten Olympiasieg nach 1948 und 1952. Sein eigener Stil und die politisch brisante Situation in seinem Heimatland Ungarn machen ihn ebenso zum "Helden" bei den Australiern wie die ungarischen Wasserballer, die einen umjubelten 4:0-Abbruch-Sieg über die UdSSR feiern.

Reiterspiele in Stockholm

Die "Aussies" hatten lange vor dem ersten olympischen Turnier auf der Südhalbkugel mit ihren strengen Quarantänebestimmungen für Verwirrung gesorgt. Danach hätten die Pferde ein halbes Jahr vorher einreisen müssen. Das IOC ringt sich schließlich dazu durch, die Reiterwettbewerbe komplett auszugliedern und in Stockholm stattfinden zu lassen - obwohl man damit gegen die eigenen Statuten der "olympischen Idee" verstößt. Der 17. Juni (!) 1956 gerät zu einem denkwürdigen Tag: In zwei Umläufen werden die Medaillen der Springreiter vergeben; die Deutschen - mit Weltmeister Hans-Günter Winkler auf Halla, Publikumsliebling Fritz Thiedemann auf Meteor und Alfons Lüdke-Westhues auf Ala - sind favorisiert. Winkler zieht sich im ersten Umlauf einen Muskelriss in der Leiste zu. Dennoch tritt er - fast besinnungslos vor Schmerz - zum zweiten Durchgang an. Umsichtig und routiniert trägt "Wunderstute" Halla "HGW" fehlerfrei ins Ziel und sichert ihrem Reiter Gold in der Einzel- und Mannschaftswertung.

Halla - Winklers Goldstück

Das Archivbild aus dem Jahr 1975 zeigt den mehrfachen Weltmeister und Olympiasieger im Springreiten, Hans-Günter Winkler, mit seinem legendären Pferd "Halla". © picture-alliance / dpa
Hans-Günter Winkler mit seinem legendären Pferd Halla.
Am Tag der deutschen Einheit (17. Juni) stehen 1956 im Springreiten die Entscheidungen im Einzel- und Teamwettbewerb an. Die Deutschen - mit Fritz Thiedemann auf Meteor, Alfons Lütke-Westhues auf Ala und Weltmeister Hans Günter Winkler auf Halla - sind nach dem ersten Umlauf in Führung. "HGW" liegt zudem in der Einzelwertung vorn. Doch dafür hat er einen hohen Preis bezahlt: Am 13. und vorletzten Hindernis muss Winkler auf eine unvorhergesehene Bewegung von Halla reagieren und zieht sich beim Zusammendrücken der Knie im Sattel eine Verletzung zu, die sich später als Muskelriss in der Bauchdecke entpuppt. Sein Schmerzensschrei ist so laut, dass die Zuschauer im Stadion zusammenzucken. Fast führungslos stolpert Halla in die letzte Hürde, der Reiter kommt nicht mehr ohne fremde Hilfe aus dem Sattel. Ein erneuter Start scheint undenkbar. Die Ärzte versuchen trotzdem das Unmögliche: Tabletten, Spritzen und Zäpfchen (verabreicht von einem Tierarzt) sollen das Wunder herbeiführen. Nichts funktioniert. Bei den Probesprüngen vor dem zweiten Umlauf verliert Winkler, der zwei Stunden lang mit zusammengegurteten Beinen reglos im Sitzen zugebracht hat, vor Schmerzen fast das Bewusstsein.

Sensibilität auf vier Beinen

Die schwedischen Kampfrichter beweisen Fairness und ziehen den Aufbau für den schon zum Start aufgerufenen Deutschen immer weiter in die Länge. Winkler wird noch behandelt - erst mit Schmerzmitteln, die das Bewusstsein trüben, und dann mit starkem Kaffee, der ihm letztlich doch den Start ermöglicht. Heute wäre er als Gedopter nicht mehr startberechtigt, damals gab es diese Regularien noch nicht. So lässt er sich zum zweiten und entscheidenden Durchgang in den Sattel heben. Zumal es auch um die Mannschaftswertung geht.

"Halla lacht, als wüsste sie, um was es geht"

Mit "Wunderstute" Halla unterwegs zum Olympia-Gold: Deutschlands Springreit-Legende Hans Günter Winkler. © picture-alliance / dpa
Mit Schmerzen übers Hindernis: Hans Günter Winkler.
"HGW" macht sich auf den schweren Parcours und nimmt ein Hindernis nach dem anderen. Es scheint fast so, als seien die Rollen vertauscht: Der Reiter hängt fast bewegungslos im Sattel; Halla, "nur begleitet von meinen Schmerzensschreien über jeden Sprung" - wie Winkler später schildert - trägt ihn wie von einer unsichtbaren Hand gesteuert zum Sieg; und achtet gleichzeitig noch darauf, möglichst sanft zu landen und seinen Reiter nicht zu verlieren. Am Ende gewinnt die "Wunderstute" Halla - "eine Mischung aus Genie und irrer Ziege" (HGW) - Doppelgold: für Winkler - und für die deutsche Mannschaft. "Halla lacht, als wüsste sie, um was es geht", ruft der legendäre Reporter Hans-Heinrich Isenbart mit fast überkippender Stimme in sein Mikrofon.

Kein Turnierpferd darf mehr unter diesem Namen starten

Das "Wunderpferd" erhält Jahre später eine ganz besondere Ehre. Als Halla 1979 im Alter von 34 Jahren stirbt, verfügt die Reiterliche Vereinigung, dass kein Turnierpferd mehr unter diesem Namen starten darf. Ihre Bronzestatue steht vor der Verbandszentrale der Deutschen Reiterlichen Vereinigung in Warendorf. "Sie war", sagt Winkler, "die größte vierbeinige Persönlichkeit, die es je gab."


Völkerverständigung zum Ausklang

Im Schwimmen ist "Schmetterling" erstmals olympische Disziplin. Sowohl bei den Männern als auch bei den Frauen siegen die USA. Ein Großteil der restlichen Schwimm-Medaillen geht jedoch an die Gastgeber. "Wunderkind" Murray Rose holt gleich dreimal Gold. Der 17-Jährige, der auf vegetarischen Eintopf aus Früchten, Sojabohnen und konservierten Meeresalgen steht, darf sein Lieblingsessen - mangels entsprechender Versorgung im olympischen Dorf - bei seiner Mutter einnehmen. Dreimal Gold gibt es auch für die australische Sprinterin Betty Cuthbert. Im Turnen dominiert nach wie vor die Sowjetunion. Der Ukrainer Viktor Tschukarin holt fünf Medaillen, davon dreimal Gold. Mit 98 Medaillen setzt sich die UdSSR am Ende auch überlegen an die Spitze der Nationenwertung. Am Ende der "Friendly Games" steht die Völkerverständigung: Nach dem Vorschlag eines jungen Australiers mit koreanischen Wurzeln laufen die Athleten bei der Schlussfeier erstmals bunt gemischt ins Stadion ein und brechen beim gemeinsamen Tanz sogar die Regeln des Protokolls. (sportschau)

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