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Dienstag, 16. Oktober 2012

Baumgartner und der tiefe Fall für die Menschheit

15.10.12

Projekt Stratos

Baumgartner und der tiefe Fall für die Menschheit

Die Apollo-11-Mondlandung war eine Metapher für ihre Zeit: Sie verkörperte den Entdeckungsgeist der Sechzigerjahre. Was aber sagt Felix Baumgartners kontrollierter Absturz über die Gegenwart?

Extremsport oder Philosophie? Um die Welt zu betrachten, braucht man einen außerweltlichen Standpunkt. Das wusste auch Felix Baumgartner, als er sich aus 39 Kilometern Höhe zur Erde fallen ließ
© AFPExtremsport oder Philosophie? Um die Welt zu betrachten, braucht man einen außerweltlichen Standpunkt. Das wusste auch Felix Baumgartner, als er sich aus 39 Kilometern Höhe zur Erde fallen ließ

Die geheime Botschaft des Knisterns

Man musste schon sehr tief hineinhorchen in die Stille dieser Sendung, ins abgehackte Knistern des Sprechfunks zwischen Baumgartner und Bodenkontrolle, man musste das kosmische Schweigen zwischen den saloppen Sprüchen der Moderatoren entziffern, um zu erkennen, was sich hier ereignete.
Es war, bis in die Details der Dramaturgie hinein, eine Wiederholung des ersten Fernsehereignisses der Menschheitsgeschichte, der Mondlandung vom 20. Juli 1969 – und das, obwohl Baumgartner in seinem Raumanzug am Ende nicht im Mondstaub stand, sondern nur in der dürren Prärie von New Mexico, auf der Erde, mit einem gewöhnlichen Westernzaun im Hintergrund.
Was wir über die Mondlandung wissen, wissen wir fast nur noch aus Überlieferungen. Jeder Roman, jede Fernsehserie, jede Biografie über die Sechzigerjahre berichtet am Rande davon, wo und wie die Live-Übertragung der Apollo-11-Mission verfolgt wurde – zuletzt sogar Arnold Schwarzenegger, der das Ereignis in seinem Bett in Los Angeles auf einem kleinen Schwarzweißfernseher verfolgte, zusammen mit der ersten Frau seines Lebens, die sich die Beine rasierte.

Psychedelischer Aufbruch

Die verrauschten Bilder von der Landung der Mondfähre im Mare Tranquillitatis, dem Meer der Ruhe, brannten sich nicht nur deshalb ins kulturelle Gedächtnis ein, weil sie ein Testfall für die neue Technik der Satellitenübertragung waren – die erste Chance, Ton und Bild auf allen Erdteilen in Echtzeit zu übertragen.
Nein, die Ankunft auf dem toten Erdtrabanten war auch eine Metapher, die den psychedelischen Aufbruchsgeist des Jahres 1969 besser fassbar machte als jeder Antonioni-Film. Es ging um eine Landnahme im Nirgendwo, um eine in den luftleeren Raum verlegte Wiederholung der Entdeckung Amerikas durch Christoph Kolumbus.
Natürlich war die gespenstische Parallelwelt, die sich im Visier des Helms von Neil Armstrong spiegelte, unbewohnbar und lebensfeindlich. Aber sie stand für das Versprechen, die Grenzen unserer Welt mit den Mitteln der Wissenschaft in Zonen zu verschieben, von denen vorher nur mondsüchtige Poeten geträumt hatten. Jeder zeitlupenhafte Sprung der Astronauten sandte die Botschaft zur Erde, dass selbst die Gesetze der Schwerkraft nur eine eingeschränkte Herrschaft über den Menschen besitzen.

Red Bull verleiht Flügel

Welche Nachricht verschickte Servus TV am Sonntagabend an die Weltgesellschaft? Für welches Versprechen steht das Projekt Red Bull Stratos, das eben nicht von der zusammengesparten Nasa organisiert wurde, sondern vom erfolgreichen Hersteller eines Getränks, das vor allem dazu dient, in der Kombination mit Wodka die im Nachtleben nötigen Energiereserven freizusetzen?
Auch Felix Baumgartner hat sich mit seinem Heliumballon weit aus der Sphäre des Irdischen emporgehoben, auch sein Rekordsprung war ein Beispiel bewundernswerter Weltflucht. Seine Einsamkeit in der Stratosphäre, wo ihn nur das Headset mit den Nerds vom Überwachungsteam verband, war sogar durch die aus dem Off eingespielten Zuschauerfragen hindurch spürbar. Um die Welt zu betrachten, braucht man einen außerweltlichen Standpunkt – diese Einsicht, die Philosophen und Raumfahrer verbindet, strahlte auch der Rekordspringer aus, der wie damals das Team um Neil Armstrong wenig redete.

Eine Tragödie im abgesicherten Modus

Trotzdem gibt es einen fast himmelweiten Unterschied zwischen der Apollo-Mission und dem Projekt Stratos. Wo jene den Mond nur als ersten Schritt zur Erschließung des Universums betrachtete, ging es Baumgartner um die Gewinnung von Fallhöhe, oder, in der Sprache der Physik, um potentielle Energie, die sich in kinetische Energie zurückverwandeln lässt. Ein Nullsummenspiel, wenn auch mit höchstem Einsatz. "Ganz schön hoch hier", so lautete der Satz, den er im kurzen Augenblick vor dem Absprung sagte, "ich komme zurück zu dir, kleine Erde."
Zeichnet man Felix Baumgartners Abenteuer als Diagramm auf, so gleicht es einer Pyramide: Aufstieg, Wendepunkt, Fall. Eigentlich sieht so seit Aristoteles das Handlungsgerüst der Tragödie aus. Doch anders als die Helden der Antike, die wie Ikarus aus Verblendung ins Unglück stürzten, hatte Baumgartner einen Fallschirm im Gepäck. Das Projekt Stratos war nichts anderes als ein kontrollierter Absturz, eine Katastrophe im abgesicherten Modus.
Auch das ist eine Zeitmetapher. Man muss Felix Baumgartner dankbar dafür sein, dass er sie, stellvertretend für alle, auf tollkühne Weise zur Aufführung gebracht hat. (welt)

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